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Kapitel 13

Sascha Rijkeboer

Sascha Rijkeboer ist Pop-Aktivist:in, Sichtbarmacher:in und Story-Quing auf Instagram. Aber Sascha ist auch Tausend-Sascha, denn Sascha macht und kann viele Dinge: Bier brauen, servieren in einem Fine-Dine-Restaurant, Öffentlichkeitsarbeit für Trans-Menschen machen, filmen und fotografieren, aber auch vor der Kamera stehen. Mit SpokenWord auf Bühnen Leute begeistern und Kolumnen schreiben. Im Gespräch reflektiert Sascha die Zwänge einer heteronormativen Gesellschaft und die eigenen Privilegien.

Sascha Rijkeboer
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Wenn wir alle mehr über Geschlecht nachdenken und das auch auflösen, nur dann sind wir in der Lage, Sexismus zu überwinden.

FS Parker

Du verstehst dich als trans-non-binär. Trans heisst, die Person identifiziert sich nicht mit dem bei Geburt zugeordneten Geschlecht. Non-binär heisst, die Person fühlt sich weder männlich noch weiblich. Wie ist das für dich im Alltag? Bist du damit täglich konfrontiert?

Sascha Rijkeboer

Ich denke nicht persönlich die ganze Zeit darüber nach, dass ich trans non-binary bin. Aber es ist durchaus etwas, was mich täglich oder mehrmals täglich beschäftigt, wenn ich daran erinnert werde. Das kann sein, dass ich Ausschlüsse erlebe, sprachlich oder räumlich. Es kann auch sein, dass ich in der Darstellung von Geschlechtern, die überall omnipräsent sind, mich nicht wiederfinden kann und daran erinnert werde, wie stark Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft kommuniziert wird. Und natürlich gibt es auch Momente, in denen ich darauf angesprochen werde, in unterschiedlichen Situationen. Und daher ist es tatsächlich leider so, dass das ein täglicher Begleiter ist.

FS Parker
Du setzt dich aktiv für Sichtbarkeit dieses Themas ein. Obwohl es mehr und mehr Einzug in die öffentliche Diskussion findet, ist es leider nach wie vor mit vielen Vorurteilen behaftet und teilweise auch noch tabu, darüber zu sprechen. Woher nimmst du den Mut, als Aktivist:in in der Öffentlichkeit, dich für dieses Thema einzusetzen?

Sascha Rijkeboer

Als ich mich geoutet habe vor sieben  acht Jahren, gab es zum Thema Non-binary in der Deutschschweiz fast keine Informationen oder Repräsentation. Und dann bin ich in diesen Sichtbarkeits-Aktivismus hineingerutscht. Ich habe im Radio ein Interview gegeben und wusste, es liegt mir, darüber zu sprechen. Und dann hat Luzia Tschirky im SRF einen Beitrag zum Thema Non-binary gemacht und damit ist alles ins Rollen geraten, weil ich dann mit diesem Begriff in Verbindung gebracht wurde. Es kamen immer mehr Zeitungen, Radios, Podcasts und Veranstalter:innen von Podiumsdiskussionen auf mich zu und haben mit mir über dieses Thema gesprochen.

Und da ich habe gemerkt, dass ich gut darüber sprechen kann und dass ich auf einer Linie bin mit dem TGNS, dem Trans Gender Network Switzerland. Dass ich mich mit ihren Ansichten und Diskursverschiebungen, die sie vornehmen wollen, um das Thema zu entstigmatisieren, identifizieren kann, es auch so sehe und es darum gut repräsentieren kann. Mich hat motiviert, eine Person oder eine Art Identifikationsangebot zu sein für Menschen, die sich auch non-binär identifizieren, weil mir selbst das gefehlt hat. Und auch um die Gesellschaft aufzuklären, damit das Thema selbstverständlich wird und die Gesellschaft Sprachinstrumente erhält, um über dieses Thema zu sprechen, ohne eine stigmatisierende Sprache dafür zu verwenden. Das sind immer noch die Motoren, die mich auch heute noch antreiben.

FS Parker

Zur rechtlichen Situation: Einige Länder erkennen bereits ein unbestimmtes Geschlecht im Reisepass an. Das Trans Gender Network Schweiz setzt sich dafür ein, dass non-binäre Menschen auch hierzulande öffentlich anerkannt werden. Auf Bundesebene fand die Diskussion bereits statt und wurde durch den Bundesrat abgeschmettert. Was bedeutet dieses Resultat für dich, die Community und unsere ganze Gesellschaft?

Sascha Rijkeboer

Das war natürlich ein harter Schlag, nicht anerkannt zu sein. In einem Staat zu leben und nicht in diesem Geschlecht leben zu dürfen. Und in dem Sinne angesprochen zu werden und juristisch verankert zu sein, wie man sich fühlt und identifiziert. Und es ist auch für die Community schwierig gewesen, das zu hören und mitzuerleben. Insbesondere auch aufgrund der Argumente, mit denen das kommuniziert wurde: Einerseits sei es ein bürokratischer Aufwand, den sie nicht betreiben wollten, und andererseits sei das Thema noch nicht in der Gesellschaft angekommen. Aber das finde ich ein fadenscheiniges Argument.

Auf der Demonstration «We exist» in Bern habe ich eine Rede gehalten. Und da habe ich gesagt, dass ich dieses Argument absurd finde, wenn gleichzeitig Tilsiter Werbung mit non-binary macht. Sie haben auf Werbeplakaten mit verschiedenen Sprüchen, unter anderem auch von Non-binary-Menschen ihren Käse beworben. Daher denke ich: Aber dann sind wir doch mitten in der Gesellschaft angekommen, wenn so ein Massenprodukt sich genau auf das Thema einlässt.

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1,8% der Gesellschaft, der Bevölkerung der Schweiz, ist non-binary oder trans. Das entspricht der Anzahl Einwohner der Stadt Basel.

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Sascha Rijkeboer
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1,8% der Gesellschaft, der Bevölkerung der Schweiz, ist non-binary oder trans. Das entspricht der Anzahl Einwohner der Stadt Basel.

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FS Parker

Woher weiss ich denn, was für ein Geschlecht eine Person hat?

Sascha Rijkeboer

Was ich sehr praktikabel finde, um über Geschlecht nachzudenken und um aufzuzeigen, dass man das Geschlecht, das Menschen haben, diesen von Aussen nicht ansehen kann, ist das Beispiel mit der Lieblingsfarbe. Ich kann dich fragen, was deine Lieblingsfarbe ist, und du kannst mir die beantworten. Doch wenn du mir diese nicht sagst, dann weiss ich es nicht. Vielleicht trägst du gelbe Kleider und ich könnte versucht sein zu denken, dass Gelb deine Lieblingsfarbe ist, aber es könnte auch sein, dass du einfach nur gelbe Kleider magst oder dir Gelb besonders gut steht. Aber es wäre falsch, wenn ich einfach davon ausgehen würde, dass Gelb deine Lieblingsfarbe ist. Denn nur wenn du es mir sagst, weiss ich tatsächlich, was deine Lieblingsfarbe ist.

Und so ist es auch mit der Geschlechtsidentität. Ich sehe einer anderen Person die Geschlechtsidentität nicht an. Klar, es gibt Symbole, die dann Vermutungen anstellen lassen, aber das muss nicht so sein.

FS Parker

Magst du uns in deinen Worten erklären: Was macht ein non-binäres Geschlecht aus? Was versteht man unter bi-gender, gender fluid, queer?

Sascha Rijkeboer

Grundsätzlich sind diese Begriffe dazu da, damit wir die verschiedenen Geschlechter ein bisschen fassen können, damit wir uns über sie austauschen können. Wir in unserer Gesellschaft oder überhaupt der Mensch an sich: Wir brauchen Kategorien, um miteinander kommunizieren zu können. Unsere Sprache funktioniert so und auch unser Denken. Daher geht es nicht darum, Kategorien abzuschaffen, sondern wir müssen ihnen Namen geben. Einerseits als Orientierungshilfe und dann natürlich auch zur Beschreibung, dass sich non-binary so und so für mich anfühlt. Denn: Man fühlt sich weniger hilflos in diesem abstrakten Gefühl, wenn man es benennen kann. Und kann dann auch Communities bilden unter diesen Begriffen.

Und was die einzelnen Begriffe bedeuten: Queer ist ein schwammiger Begriff, weil es verschiedene Auslegungen gibt. Am einfachsten ist zu sagen, dass es sich «queer zur Norm» verhält. Das kann hinsichtlich der Geschlechtsidentität sein. Dass diese nicht dem entspricht, was man bei Geburt zugewiesen bekommen hat. Oder dass man gleichgeschlechtlich begehrt. Oder dass man vielleicht auch poly lebt und mit mehreren Menschen in Beziehungen lebt. Oder dass man aromantisch oder asexuell ist. Alles, was abweicht von der Norm, in Bezug auf Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren.

Und bi-gender zum Beispiel ist eine Geschlechtsidentität unter diesem Regenschirm von Geschlechtsidentitäten. Und so wie ich das verstehe, sind das Leute, die sich genau zwischen Mann und Frau identifizieren. Manchmal benutzen Leute auch den Begriff genderfluid in dem Sinne, dass sie sich an einem Tag mal mehr männlich oder mehr weiblich fühlen und einen fluiden, spielerischen Umgang damit haben.

Und non-binary ist ein Oberbegriff neben klar trans männlich oder trans weiblich, dass man sich nicht eindeutig mit männlich oder weiblich identifiziert. Das kann dazwischen sein, das kann ausserhalb sein, das kann auch eine Wahrnehmung sein wie «Ich habe gar keine Geschlechtsidentität». Ich kann sagen, was non-binary für mich bedeutet, aber ich kann schlecht sagen, dass non-binary für alle gilt, weil das sehr unterschiedlich sein kann. Wohingegen, wenn ich zum Beispiel sage: Ich bin ein Trans-Mann, dann wurde ich dem weiblichen Geschlecht zugewiesen, identifiziere mich aber als Mann. Der Ursprung von der Identität liegt immer in dieser weiblichen Zuweisung. Und bei non-binary spielt es keine Rolle, was du zugewiesen gekriegt hast, das heisst einfach: Das stimmt nicht. Und das andere binäre Geschlecht auch nicht. Für mich ist das der Begriff, der am besten passt. Ich mag auch «Gender Queer», queer zu einer klaren Geschlechtsidentität. Aber es ist nicht so, dass ich in dem Sinne non-binary als ein klares Gefühl verorten kann, sondern es ist das Bewusstsein, dass weder männlich noch weiblich für mich stimmt.

FS Parker

Und wirklich weg zu gehen von Kategorisierungen, hin zu einem viel offeneren Miteinander, egal wie sich das ausgestaltet?

Sascha Rijkeboer

Es ist natürlich eine Utopie, dass wir an einem Punkt ankommen könnten, dass wir Geschlecht nicht mehr erkennen und es in dem Sinne nicht mehr existiert. Das heisst nicht, dass Menschen nicht biologisch unterschiedliche Körper haben dürfen oder dass nicht ein Mann Fussball mögen darf. Das Angebot, was Menschen tun dürfen, wie sie sich verhalten sollen oder dürfen, wie sie sprechen, wie sie sich anziehen, wer welche Rollen in der Gesellschaft oder Verantwortlichkeiten hat. Wenn das alles frei ist, dann glaube ich, haben wir in dem Sinne dieses Geschlecht-Konstrukt aufgehoben oder überwunden.

Aber wir sind heute überhaupt noch nicht dort. Darum müssen wir überhaupt erst noch über all diese Geschlechter sprechen und auch vereinfacht von diesen drei Gruppen sprechen. Aber ich sehe das mehr als ein Instrument im Prozess. Weil, wenn wir jetzt sagen würden: Wir sprechen nicht mehr über Geschlecht, dann ist es ja immer noch hier. Und diese Darstellungen sind ja immer noch da. Wir müssen zuerst überhaupt diese ganzen Rahmenbedingungen hinterfragen und aufbrechen, bevor wir Geschlecht ignorieren können. Weil wir sonst unsere Augen einfach vor Sexismus verschliessen würden.

Das ist auch der Grund, warum ich befürwortete, dass man drei Geschlechter hat und nicht, dass man das Geschlecht im Personenstand ganz abschafft.

Wenn ich über Geschlecht rede, kommt es immer wieder vor, dass Leute sagen: Ja, aber am Schluss sind wir alle Menschen. Das ist mir ein bisschen zu einfach. Ich habe das Gefühl, dass man das vor allem sagen kann, wenn man in einer privilegierten Position ist, in der man nicht davon betroffen ist, dass es tatsächlich Unterschiede gibt.

FS Parker

Du sagst, in vielen Fällen ist Menschen der Kontext nicht bewusst. Oder die Erfahrungen sind nicht da. Oder die Konfrontationen sind noch nicht erlebt worden.

Sascha Rijkeboer

Ich denke, dass es Positionen gibt, in denen man sehr wenig Konfrontationen erlebt und man deswegen in Versuchung gerät, sich selbst als die Norm zu sehen, ohne sich bewusst zu sein, dass man der Norm entspricht. Carolin Emcke hat das sehr schön im Buch «Gegen den Hass» ausgedrückt: «Wer der Norm entspricht, kann dem Irrtum erliegen, dass es sie nicht gibt.» Und darum denke ich: Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, wo und wie entspricht man einer Norm? Und wo und wie ist oder wird man privilegiert? Und man läuft Gefahr zu vergessen, dass das nicht für alle so ist. Es ist wichtig, über diese Dinge nachzudenken und sich dieser bewusst zu sein.

FS Parker

Was würdest du gerne allen Menschen der Welt mitgeben?

Sascha Rijkeboer

Dass sie sich freimachen von Geschlecht, spielerischer sind, hinschauen, Strukturen reflektieren, sich organisieren, für ein besseres Miteinander kämpfen. 

FS Parker

Hast du auch eine spezielle Botschaft an alle trans-non-binären Menschen dieser Welt?

Sascha Rijkeboer

Ihr seid alle wunderschön.

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Geschlechter sind kein Gesetz.
Das wäre ein gesellschaftliches Konstrukt. Von diesen Strukturen, die uns einschränken und unterdrücken, müssen wir uns befreien.

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Sascha Rijkeboer
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Geschlechter sind kein Gesetz.
Das wäre ein gesellschaftliches Konstrukt. Von diesen Strukturen, die uns einschränken und unterdrücken, müssen wir uns befreien.

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Wer ist Sascha Rijkeboer und warum haben wir Sascha ausgewählt?

Sascha ist Aktivist:in, Sichtbarmacher:in und ein Role Model für viele Menschen im Umgang mit Gender. Sascha setzt sich für queer-feministische Anliegen ein und leistet als trans non-binäre Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten. Dabei ist Sascha sehr reflektiert und die Sprache immer pointiert und respektvoll.

Das Bewusst- und Sichtbarmachen verschiedener Geschlechteridentitäten und die gesellschaftliche Gleichbehandlung aller Geschlechter finde ich absolut wichtig. Sascha als Person und Saschas Engagement beeindrucken mich sehr.
Bärbel Jördens
Consultant & Project Manager
Ich habe diese Folge wirklich geliebt! Ich fand Saschas Antworten und Gedanken sehr fesselnd. Der einzige Nachteil ist, dass sie so schnell vorbei war!
Marvin Osenda
Graphic Designer
In unserer Vielfalt liegen unsere Stärke und Schönheit. Wir mögen alle unterschiedlich sein, aber in unserem Kern sind wir gleich - gleichermassen verdient jeder Respekt, Anerkennung und Liebe. Saschas Einsatz für individuelle Identitäten und ein inklusives Miteinander ist bemerkenswert.
Benjamin Franz
Creative Director & Partner
Kapitel 13