Erika Rosa Kälin ist Athletin, hat bereits an zahlreichen Wettkämpfen wie den Special Olympics teilgenommen und viele Medaillen gewonnen. Erika ist nahezu blind, aber dennoch ist die 53-Jährige auf den Langlauf-Ski oder auf dem Fahrrad schneller unterwegs als die meisten Menschen ohne Beeinträchtigung. Zu den Highlights gehört für sie die Teilnahme an den World Winter Games 2017 in Schladming. Und: Erika liebt es, auch andere Menschen zur Bewegung zu inspirieren.
Ich finde es toll zu zeigen, dass man auch mit einer mehrfachen Beeinträchtigung vieles bewegen kann.
Was bedeutet Sport für dich?
Er bedeutet für mich viel Lebensqualität, denn wenn ich keinen Sport machen könnte, ginge es mir körperlich viel schlechter. Weil ich eine mehrfache Beeinträchtigung habe, eine leichte Skoliose und einen Becken-Tiefstand, ist das für mich wie Therapie.
Es ist für deinen Körper gut, aber auch für deine Seele.
Genau. Psychisch bleibt man viel besser in der Balance und man ist viel ausgeglichener. Mich zu bewegen bin ich gewohnt von früher, ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Meine Eltern haben mich schon früh mitgenommen in den Stall zu den Tieren und auch in den Wald, wenn wir holzen gegangen sind im Winter oder im Sommer zum Heuen oder auf die Alp. Bewegung war immer wichtig für mich im Leben.
Faszinierend, dass das alles möglich ist. Beim Sport vertraust du auf dein Gefühl, auf deinen fünften und vielleicht sogar sechsten Sinn. Wie ist so ein Cross Country Lauf möglich?
Ich nehme, wenn wir zum Beispiel im Wald sind, die Gerüche wahr. Das Moos riecht speziell oder auch Pilze oder Blumen. Und jede Jahreszeit riecht ein bisschen anders.
Das heisst das gibt dir dann auch ein Gefühl oder Informationen über den Untergrund, auf dem du läufst?
Auch wenn das Wetter wechselt, rieche ich, was kommt. Man riecht den Geruch von den Blättern, die von den Bäumen fallen oder wenn das Holz frisch geschlagen wurde.
Es ist sehr faszinierend, dass diese ganzen sportlichen Erfolge möglich sind, auch Höchstleistungen körperlicher Natur. Vorhin habe ich dieses Foto von dir gesehen, auf dem du unglaublich viele Gewichte stemmst. Wie ist das möglich? Ist das dieser Wille? Oder dass du die Bewegung so liebst?
Es ist beides, die Liebe zur Bewegung und auch der Wille, dass ich etwas erreichen kann. Das ist gut für das Selbstvertrauen. Mir gibt der Sport ein unheimliches Selbstvertrauen und auch Kraft, um mich in der Balance zu halten. Und das hilft mir auch fürs Leben und, dass ich besser zurechtkommen kann.
Mir gibt Sport Selbstvertrauen und Kraft, um mich in der Balance zu halten.
Mir gibt Sport Selbstvertrauen und Kraft, um mich in der Balance zu halten.
Du unterstützt und inspirierst auch andere Athleten.
Ja, in Schaffhausen gab es ein kleines Mädchen, etwa acht neun Jahre alt. Und die Mutter erzählt, sie sei schon immer im Rollstuhl gesessen. Sie konnte kaum laufen, nur zu Hause 100 Meter alleine zu Fuss.
Und letztes Jahr waren wir in Schaffhausen beim Städtle-Lauf Anfang September 2022. Da war sie auch am Start, es gab eine Special Olympics Kategorie. Und ihre Mutter sagte noch vor dem Start: Wenn du es nichts schaffst, kann ich dich mit dem Rollstuhl weiterschieben. Aber das Schöne war: Die Strecke war 1,4 Kilometer lang und sie hat diese Strecke ganz alleine zu Fuss geschafft. Und sie hatte Freude dabei. Sie hat gesagt, dass sie mich vor dem Start gesehen hat, dass sie uns nachgelaufen ist, und so hat sie es auch geschafft bis zum Schluss.
Was sind aktuelle Projekte, von denen du mir erzählen möchtest?
Anfang Mai haben wir ein Projekt, das Weitblick heisst, organisiert von einem Mann, der auch fast blind ist und eine Netzhautablösung hatte. Bei dem Projekt laufen wir von Basel nach Visp in verschiedenen Etappen. Und mit diesen Anlässen sammeln wir Geld. Das Geld kommt der Hörbücher-Bibliothek zugute. Viele Hörbücher sind noch auf alten Kassetten oder Tonträgern und auch die Lizenzen sind teilweise veraltet.
Ich selbst verkaufe Grusskarten, die ich selbst sticke. Weil ich eine starke Kurzsichtigkeit habe, sticke ich mit der Lupe. Mit einem Teil des Erlöses unterstütze ich dieses Projekt der Hörbücher-Bibliotheken. Und mit dem anderen Teil unterstütze ich Menschen mit Beeinträchtigung oder auch Kollegen in meinem Umfeld, die eine Beeinträchtigung haben, damit sie an Sportanlässen teilnehmen können. Nächstes Jahr sind in Gadmen im Berner Oberland die nationalen Winter Games. Dort will ich jetzt auch fünf Freunde unterstützen und diese mitnehmen. Damit wir zusammen am Langlauf teilnehmen können. Und mit dem Erlös von meinen Grusskarten werde ich das Startgeld zahlen und Essen und Unterkunft.
Wenn du eine Botschaft an alle Athleten der Welt richten könntest, wie würde die lauten?
Einfach positiv sein, sich nicht unterkriegen lassen, versuchen, in der Balance zu bleiben und sein eigenes Ding durchzuziehen. Mach das Beste daraus. Das ist auch mein Lebensmotto. Und der Glaube an sich selbst.
Im Sommer gehen wir als Volunteer zu den World Sommer Games nach Berlin. Denn als Volunteer kann man auch vieles weitergeben.
Im Sommer gehen wir als Volunteer zu den World Sommer Games nach Berlin. Denn als Volunteer kann man auch vieles weitergeben.
Erika ist fast blind. Trotzdem nimmt sie an Wettkämpfen teil, auch an Wettkämpfen bei denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gegeneinander antreten. Zusammen mit ihrem Guide und Lebenspartner Reinhart Schütz bestritt sie bereits die Special Olympics World Winter Games und die National Games im Sommer, auf Langlaufski und auf dem eigenen Fahrrad und nicht etwa mit einem Tandem. «Ich vertraue auf mein Gefühl», erklärt Erika. Und zudem vertraut sie ihrem Guide voll und ganz. Und: Jede Hürde und Herausforderung treibt sie weiter an.